
Egal ob zu Hause, bei Freunden oder hier in der Physiotherapiepraxis in Reutlingen, nicht selten kommt mir folgender Satz zu Ohren: „Gestern hatte ich wieder solche Rückenschmerzen, ich musste mich nach der Arbeit erstmal auf meine Faszienrolle schwingen, danach gings mir super. Ich habe mich gefühlt wie ein neuer Mensch.“
Sie kennen das bestimmt, dieser höllische, aber gleichzeitig auch wohltuende Schmerz, wenn man sich Wirbel für Wirbel von der Lendenwirbelsäule bis hoch zum Nacken über die Rolle rollt. Manchmal möchte man vor Schmerz schreien, aber am Ende fühlt es sich einfach nur gut an.
Was bringt es aber tatsächlich, wenn Sie Ihren Rücken mit der Faszienrolle bearbeiten?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, lohnt es sich, zunächst einmal einen Blick auf die Faszie direkt zu werfen. Was genau steckt hinter diesem, ich nenne es mal „fancy“, Wort?
Grob gesagt sind Faszien nichts anderes als ein umgewandelter Begriff für parallelfaseriges (merken Sie sich dieses Wort gut, es wird etwas später im Artikel noch eine wichtige Rolle spielen) Bindegewebe. Sie umgeben einzelne Muskeln, Muskelgruppen oder sogar ganze Körperabschnitte.
Dadurch bewirken sie v. a. dass der Muskel Form und Festigkeit erhält und sorgen gleichzeitig dafür, dass sich einzelne Muskeln bei Bewegung nicht gegenseitig behindern, sonder sanft aneinander vorbeigleiten können.
So, jetzt wissen Sie zumindest einmal, was gemeint ist, wenn man von Faszien spricht.
Ob es etwas bringt, die Faszien zu trainieren bzw. mit der Rolle zu bearbeiten, darauf werde ich nun näher eingehen.
Immer wieder fragen mich Patienten, die in unsere Praxis zur Physiotherapie nach Reutlingen kommen, ob es etwas bringt, wenn man sich bei Rückenschmerzen die Faszienrolle zu Hilfe nimmt. Denn schließlich seien die Schmerzen danach ja besser. Warum also nicht? Klingt doch logisch.
So einfach ist das mit dem Schmerz leider nicht. Natürlich können Faszien auch Schmerzen machen, besonders dann, wenn sich die parallelen Fasern – ich hoffe, Sie erinnern sich noch an dieses Wort – miteinander verkleben. Dies geschieht v. a. dann, wenn die Faszien nur mangelhaft oder gar nicht „gebraucht“ werden.
Heißt also, Faszien verkleben durch zu wenig Bewegung. Die Folgen sind dann das bekannte Steifigkeitsgefühl und ein Gefühl der geringeren Beweglichkeit. Wichtig hierbei zu wissen ist aber, dass die Faszien dennoch nur indirekt am Schmerzgefühl beteiligt sind. Was schmerzt ist der Muskel, der aufgrund seiner verklebten Faszienhülle in seiner Gleitfähigkeit eingeschränkt ist.
Stellen Sie sich einmal folgendes Beispiel vor: Sie geben einen Tropfen Flüssigkleber zwischen zwei Finger und verreiben diesen. Ihre Finger stellen die Muskeln dar, der Flüssigkleber die Faszienhülle. Anfangs lassen sich die Finger noch ganz einfach und geschmeidig aneinander reiben.
Mit zunehmender Dauer, wenn die Flüssigkeit im Kleber trocknet und er zäh wird, lassen sich die Finger viel schwieriger gegeneinander bewegen. Genau das passiert mit den Faszien, wenn sie sich zu wenig bewegen. Sie verlieren an Flüssigkeit und verkleben miteinander. Aus dem Gleiten wird nun ein Reiben. Es entsteht Schmerz.
Schmerzfrei durch schmerzhaftes rollen?
Lassen Sie es also gar nicht erst so weit kommen, sondern bewegen Sie sich ausreichend!
Was aber, wenn es schon zu spät ist und meine Faszien schon verklebt sind? Lohnt es sich dann, die Schmerzen, ausgelöst durch ein aus Hartschaum bestehendes „Höllengerät“, in Kauf zu nehmen und die Faszien dadurch wieder zu „entkleben“?
Zunächst muss einem klar sein, dass Faszien nie isoliert trainiert werden können. Wie vorher beschrieben, bilden Faszien nur eine ganz, ganz dünne Schicht um einzelne Muskeln (teilweise auch um Organe) herum. Es werden durch den Druck der Faszienrolle also alle darunterliegenden Strukturen beeinflusst, wie z.B. Muskeln, Blutgefäße oder Nerven.
Folglich reagiert auch jedes dieser Gewebe auf diesen Druck. Dies wird v. a. dann bemerkbar, wenn Sie sich am Tag nach dem „Faszientraining“ im Spiegel betrachten und vor Schreck schier umfallen, weil Sie übersäht mit blauen Flecken sind. Faszien besitzen an sich keine Blutgefäße, die ursächlich für die blauen Flecken sein können, sondern eben nur das umliegende Gewebe.
Sie merken, ich bin wohl etwas abgeschweift…
Gehen wir nun nochmals näher auf die Frage ein, ob es sich lohnt, die Schmerzen des „Faszientrainings“ in Kauf zu nehmen. Sie kennen ihn, diesen höllischen Schmerz, den Sie verspüren, wenn Sie sich über die Faszienrolle rollen. Am liebsten würden Sie schreien und heulen. Zumindest geht es mir so, wenn ich mich mal wieder dazu entscheide, das Höllengerät aus dem Schrank zu holen und sämtliche Körperpartien damit zu bearbeiten.
Ich erinnere mich noch gut an meine Schulzeit zurück, in welcher Faszien ein separates Unterrichtsfach darstellten. Unter anderem beinhaltete dieses Fach das Training mit der Faszienrolle. Ganze 4 Stunden haben wir damals damit verbracht, jegliche Körperpartien mit der Faszienrolle auszurollen.
Eins kann ich ihnen sagen, es waren wohl die längsten und schmerzhaftesten 4 Stunden in meinem Leben. Und abgesehen von den Glücksgefühlen, die aufkamen, als die 4 Stunden Höllenqual endlich überstanden waren, hat sich mein Körper danach erstaunlicherweise echt gut angefühlt.
Irgendwie so locker und an den Körperstellen, an denen ich zuvor Schmerzen hatte – ja, auch in meinem Alter zwickt und zwackt es ab und zu hier und da – waren keine Schmerzen mehr zu finden. Wow, und das alles nur durch eine einfache Hartschaumrolle, ich war fasziniert.
Warum Sie sich nach dem rollen traumhaft fühlen
Jetzt kam nur noch eine Frage auf, die mich auch an den folgenden Tagen beschäftigt hat: Wie kann es sein, dass ich den bestehenden Schmerz durch einen anderen Schmerz bekämpft habe?
Um dieses Phänomen besser verstehen zu können, müssen wir etwas tiefer in die physiologische Materie eintauchen. Grund für das Verschwinden des Schmerzes ist die sogenannte Gegenirritation, auch Gate-Control-Theorie genannt. Empfindungsreize, wie z.B. Berührung, Temperatur, aber auch Schmerz werden über Nervenfasern zum Gehirn geleitet und dort dann verarbeitet.
Nicht schmerzhafte Reize werden überwiegend über schnellleitende Nervenfasern weitergeleitet. Über Aktivierung dieser Nervenfasern erfahren die nicht schmerzhaften Reize eine schnellere Weiterleitung zum Rückenmark und gelangen dadurch schneller zum Gehirn als die schmerzhafte Reize. Diese werden nämlich über langsam leitende Nervenfasern zum Gehirn geleitet. Folge dessen ist, dass der nicht schmerzhafte Reiz intensiver wahrgenommen wird, als der Schmerz.
Jetzt stellen Sie sich bestimmt die Frage, warum dann ausgerechnet das doch eher schmerzhafte Faszientraining Schmerzen hemmen soll. Das liegt an der sogenannten Schmerzschwelle. Diese beschreibt die niedrigste Stärke eines Reizes, die bei einer Person Schmerzen auslöst.
Findet jetzt an dieser Schmerzschwelle eine Gegenirritation statt, kommt es im Körper unter anderem zur Ausschüttung von schmerzhemmenden Stoffen, wie z. B. Endorphinen. Gleichzeitig wird die Ausschüttung von schmerzverstärkenden Stoffen gehemmt. Das Rollen mit der Faszienrolle beschreibt also die Gegenirritation an der Schmerzschwelle, kann somit Schmerzreize überlagern und dadurch Schmerzen lindern.
Bitte denken Sie aber daran: Solange der Schmerz nicht die Ursache, sondern „nur“ das Symptom darstellt, werden Sie durch Faszientraining keine langanhaltende Schmerzlinderung erzielen können.
Die Rolle bei Rückenschmerz
Nehmen wir einmal den Rückenschmerz als Beispiel:
Speziell bei Rückenschmerzen muss man sich immer die Frage stellen, woher der Schmerz kommt und was die Ursache für den Schmerz ist. Denn in den meisten Fällen wird der Hauptschmerz nicht von den Muskeln oder der Faszie abgegeben, sondern z. B. von den Bandscheiben. Die umliegende Muskulatur wird nur symptomatisch etwas härter und trägt ein klein wenig zum Gesamtschmerz bei.
Lesen Sie in diesem Artikel mehr darüber, woher Rückenschmerz kommt:
Wird der Rücken jetzt mit der Faszienrolle ausgerollt, werden die Schmerzen bei den meisten erst mal besser. Leider aber nicht vollständig und lang anhaltend, weil Sie nur einen kleinen Teil des Schmerzes mit der Rolle bearbeiten und z. B. nicht die Bandscheiben damit heilen.
Wichtig ist also immer, dass auch die Ursache behandelt wird, um langfristig anhaltende Effekte erzielen zu können.
Als Fazit zum Höllengerät Faszienrolle lässt sich nun folgendes zusammenfassen:
- Faszien verkleben durch zu wenig Bewegung und können dadurch Schmerz auslösen → lassen Sie es gar nicht erst so weit kommen, sondern versuchen Sie ausreichend Bewegung in Ihren Alltag miteinzubauen
- Faszien können nie isoliert trainiert werden, es werden immer alle Gewebe durch die Faszienrolle beeinflusst – denken Sie an die blauen Flecken
- Die Gegenirritation ist dafür verantwortlich, dass wir durch Faszientraining Schmerzen lindern können. Der Schmerz wird hierbei aber leider nur durch einen anderen Reiz (der Reiz der Faszienrolle) überlagert, was zur Ausschüttung von schmerzhemmenden Stoffen und zur Hemmung von schmerzverstärkenden Stoffen führt.
Ist ein Faszienproblem aber wie meist „nur“ ein Symptom und nicht die Ursache, lässt sich leider kein oder nur ein geringer Effekt erzielen.
Ich persönlich finde, dass Faszientraining eine gute Ergänzung zur Schmerzlinderung ist. Sie müssen sich aber eben bewusst sein, dass der schmerzlindernde Effekt eher kurzfristig wirkt und langfristig bestenfalls nur einen kleinen Teil des Schmerzes verbessern kann.
Sollte Sie aber mal wieder abends nach einem langen Arbeitstag der Rücken plagen, dann nichts wie los, schwingen Sie sich auf Ihr Höllengerät. Wäre ja zu schade, wenn es im Eck einstauben würde.
Ihre Jaqueline Kästle