Blog der Physiotherapie Praxis Birgel / Reutlingen

Die 5 wichtigsten Erkenntnisse über Schmerzen

Physiotherapeut schaut auf ein Röntgenbild

Vor Kurzem wurde ich von einer Patientin gefragt, ob sie mit ihrer frisch operierten Schulter über den Schmerz hinaus Übungen machen soll oder nicht?

Bevor ich über die Antwort nachdachte, ist mir aufgefallen, dass mich das echt viele Patienten in unserer Physiotherapie in Reutlingen fragen. Also möchte ich in diesem Artikel die 5 wichtigsten Erkenntnisse über Schmerzen beschreiben und Ihnen praktische Tipps geben, die im Kampf gegen Schmerzen helfen können.

Es gibt unglaublich viele Mythen über Schmerzen und ich kann die Patienten absolut verstehen, die sich bei Schmerzen oder Einschränkungen diese 3 Fragen stellen:

  1. Soll ich in oder sogar über den Schmerz hinausgehen oder Schmerzen vermeiden?
  2. Was bedeuten Schmerzen für mich und sind sie gefährlich?
  3. Muss ich Schmerzen ertragen oder soll ich lieber Schmerztabletten nehmen?

Das Thema Schmerz ist komplex und es gibt viele verschiedene Ansätze. Die meisten Therapiekonzepte basieren dabei leider auf einfachen Annahmen und nicht auf wissenschaftlich erforschten Fakten. „Ja ja, das mit den Fakten ist in unserer heutigen Zeit so ein Thema“, höre ich Sie schon durch meine Lautsprecher rufen, doch mal ehrlich:

Studien sind nicht alles und können manipuliert werden, doch wenn man sich auskennt und sie richtig auswertet, sind sie allemal besser als irgendwelche Erzählungen. Deshalb erkläre ich nun die 5 wichtigsten Erkenntnisse über Schmerzen, die durch Studien nachgewiesen und mit Erfahrungen aus unserer Physiotherapie in Reutlingen ergänzt sind.

Los geht’s…

1. Erkenntnis: Wir sollten fast nie in den Schmerz gehen

Schmerzen sind oftmals ein Warnsignal des Körpers, d. h. die Natur hat Schmerzen eingerichtet, um uns vor echten Schäden zu schützen. Mit Schmerzen signalisiert uns unser Körper, dass wir jetzt aufpassen sollten, um ernsthafte Gewebeschäden zu vermeiden. Er ruft uns immer deutlicher zu: „Bitte lass mich in Ruhe, sodass nichts Schlimmes passiert und ich die Heilung beginnen kann! “.

Muss man sich da wirklich noch die Frage stellen, ob es Sinn macht, in den Schmerz zu gehen? In manchen Fällen bringt es eine Linderung, etwas in den Schmerz zu gehen, z. B. um eine künstliche Entzündung zu entfachen und damit den Körper bei der Heilung ein wenig anzuschubsen. Bei fast allen Schmerzen und Einschränkungen ist es jedoch viel schlauer, den Finger nicht in die Wunde zu legen.

Wie bei so vielen Dingen im Leben liegt auch hier die Wahrheit in der Mitte und es kommt ganz auf das entsprechende Problem und dessen Stadium an. Wenn Sie eine akute Entzündung (Arthritis) haben, sollten Sie diese respektieren. Anderenfalls reagiert Ihr Körper noch beleidigter und blockiert immer deutlicher.

So kann es sein, dass ein entzündetes Knie- oder Schultergelenk immer noch stärker die Bewegung blockiert, wenn Ihr Therapeut in der akuten Heilung zu viel dehnt oder Sie meinen, mit fitten Kindern um die Wette rennen zu müssen 🙂

Weiteres Beispiel:

Wenn Sie Arthrose haben und zu wenig bewegen, wird Ihr Gelenk mit seinem Gewebe immer minderwertiger, es baut sich um und verkümmert. Ihre Muskeln und Bänder werden schwächer, der Knorpel wird dünner und alles instabiler.

Trainieren und belasten Sie hingegen zu viel, provozieren Sie das Gewebe, es entzündet sich und meldet sich immer deutlicher bei Ihnen: „Bitte lass mich in Ruhe, sonst schwelle ich mehr an, werde heißer und schränke die Bewegung ein!“.

Sie sehen, die Mitte ist Ihr Freund und es gilt fast immer die Regel: Gehen Sie weg vom Schmerz oder nur ganz leicht in den Schmerz (Schmerzskala 3 von 10).

In einer Studie mit Rückenschmerzpatienten konnnte man nachweisen, dass die Patientengruppe, die mit ihren Übungen weg vom Schmerz gegangen ist, dreimal weniger Schmerztabletten brauchte als die Patientengruppen, die „in“ oder „in und aus“ dem Schmerz gegangen sind. Auch hier bestätigt sich also die Regel und es gibt eine ganze Reihe weiterer Studien, die zu diesem Ergebnis kommen.

Die nächste Erkenntnis zeigt weiter auf, warum wir Schmerz vermeiden sollten.

2. Erkenntnis: Schmerz kann harmlos sein, aber gefährlich werden

Da Schmerzen ein Warnsignal sind, bedeutet das, dass Sie trotz starken Schmerzen noch keine Gewebeschädigung haben müssen. Selbst wenn Ihr Arzt das Röntgenbild für schlimm befindet und Sie Schmerzen haben, gibt es oft noch gute Heilungschancen.

Trotzdem sollten Sie Schmerzen ernst nehmen, denn sie können gefährlich werden.

Ab dem ersten Tag, an dem Sie Schmerzen haben, vergrößert sich das Schmerzgebiet und der Schmerz wird gegen Reize sensibler. So kann es sein, dass ein anfangs punktueller Schulterschmerz später immer weiter ausstrahlt und bis in den Arm oder sogar bis zur Hand geht.

Dazu sensibilisiert sich das Schmerzgebiet, indem sich die Schmerzrezeptoren vergrößern (periphere Schmerzsensibilisierung) und sich später sogar das zentrale Nervensystem (Rückenmark und Gehirn) umbaut (zentrale Schmerzsensibilisierung). Das kann so weit gehen, dass eine leichte Berührung im Schmerzgebiet, ein Windhauch oder sogar nur ein kleiner Temperaturanstieg über die Körpertemperatur hinaus heftige Schmerzen auslöst.

Ich bin zwar immer noch der Meinung, dass viele Menschen eher verweichlicht sind, doch nicht immer schauspielern Leute, wenn ihnen kleinste Veränderungen enorm schmerzen. Und die gefährliche Nachricht geht noch weiter: Durch den Umbau des zentralen Nervensystems kann sich sogar unser Gehirn abbauen! Bei Leuten, die ein Jahr Dauerschmerz hatten, konnte man im MRT feststellen, dass diese 1,3 cm² weniger graue Hirnmasse hatten als zuvor.

Das ist echt erstaunlich und zeigt, dass Schmerz chronisch werden kann und irgendwann Schmerzen spürbar sind, selbst wenn es gar keinen mechanischen Auslöser mehr gibt. Das Schmerzsystem ist in diesen Fällen selber erkrankt und wir sprechen dann von „chronischem Schmerz“. Die Bandscheibe ist also vielleicht längst wieder gesund, aber das Schmerzzentrum im Gehirn meldet leider immer noch Schmerzen, die spürbar sind und sogar ausstrahlen können.

Bestimmt haben Sie von diesen „Phantomschmerzen“ schon einmal gehört. Kennt nicht jeder diese Geschichten, bei denen ein Kriegsheld sein Bein verloren hat und noch immer Schmerzen spürte?

Das zeigt, warum Sie eine Chronifizierung möglichst verhindern sollten und Schmerztabletten nicht immer verneinen dürfen.

3. Erkenntnis: Schmerztabletten können ein Segen sein

Ich verstehe die Patienten in unserer Physiotherapie in Reutlingen, die nicht gleich zu Chemie greifen wollen. Manchmal macht es jedoch Sinn, Schmerztabletten bzw. Entzündungshemmer zu nehmen. Die Heilung ist oftmals schneller, geht manchmal überhaupt nur dadurch weg und ganz wichtig: Sie verhindern eine Chronifizierung, die viel gefährlicher ist als die Nebenwirkungen von zwei Wochen Tabletten einwerfen.

In manchen Fällen sind Schmerztabletten ein wahrer Segen, denn es gibt Schmerzen, die nur durch eine chemische Entzündungssuppe ausgelöst werden und Sie mit Ernährung oder Training allein nicht immer wegbekommen. Dazu ist ein chronischer Schmerz mit Gehirnabbau viel schädlicher als Nebenwirkungen von Tabletten, die sehr selten und erst nach langer Einnahmedauer auftreten können.

Wenn Sie ein Problem haben, das ohne Tabletten nicht weggeht, kann es daher sinnvoll sein, für 12-14 Tage Schmerztabletten bzw. Entzündungshemmer zu nehmen. Sprechen Sie darüber unbedingt vorher mit einem Arzt.

4. Erkenntnis: Bekämpfen Sie den einen Schmerzauslöser und lösen Sie die tiefere Ursache

Egal was Sie haben, Sie sollten unbedingt den wichtigsten Schmerzauslöser finden und bekämpfen, denn es gibt fast immer genau einen Schmerzgenerator. Oft kann man diesen mit Tests und genauer Diagnostik herausfinden, doch die Ursachen, warum ein Gewebe oder das Schmerzsystem selber Schmerz meldet, liegen häufig viel tiefer und verborgen.

Ein Beispiel:

Patient Anton hat Rückenschmerz – dieser löst seine Bandscheibe aus – die Bandscheibe wurde mechanisch durch einen Riss verletzt – das ist passiert, weil die Bandscheibe minderwertiges Gewebe hatte – das Gewebe ist minderwertig, weil Anton wenig Sport macht und sich schlecht ernährt – Anton macht zu wenig Sport und ernährt sich schlecht, weil er psychisch angeschlagen ist (z. B. Überforderung im Beruf, schlechte Beziehung).

Manchmal ist der einzige Schmerzgenerator die Psyche und es braucht gar keinen anderen mechanischen Reiz. Natürlich liegt es nicht immer an der Psyche, doch ich denke, dass sehr viele Probleme letztendlich auch auf die Psyche zurückzuführen sind.

Zusammengefasst sollten Sie immer versuchen, einen Schmerz oder eine Blockade zu lösen, indem Sie die wirklich tiefer gehende Ursache herausfinden und lösen. Wir Menschen denken oft zu oberflächlich, kurzfristig und einfach, doch gute Fachleute können helfen.

Finden Sie also medizinische Experten, die wirklich zuhören, testen und Sie ernst nehmen. Die gibt es, wenn auch nicht so viele :).

Und versuchen Sie zusätzlich auf Ihr Inneres zu hören und das zu tun, was Ihnen gut. Auch wenn Sie den hauptsächlichen Schmerzgenerator noch nicht kennen, können Sie durch Maßnahmen wie Wärme, Kälte, Meditation, Atemübungen oder durch positives Denken Einfluss nehmen.

Wissen Sie, warum das hilft? Weil es immer eine sogenannte Schmerzsummation gibt, d. h. wenn Ihr Schmerz mit 100 % dargestellt wird, wird z. B. 70 % von der Bandscheibe ausgelöst (Schmerzgenerator), 15 % von der Psyche, 8 % vom Wetter und 7 % von der lauten Helene Fischer Musik Ihres Nachbars.

Im Ernst. Es kann Ihren Schmerz dämpfen, wenn Sie zusätzlich zum wichtigsten Schmerzgenerator auch die anderen Schmerzauslöser positiv beeinflussen.

Also los und Kirschkernkissen ab in den Ofen!

5. Erkenntnis: Unsere Erziehung und Denkweise beeinflusst unsere Schmerzwahrnehmung

Unsere Erziehung und Kultur hat einen gewissen Einfluss auf unser Gefühl für Schmerzen. Es gibt unter Physiotherapeuten und Ärzten Witze über südländische Menschen und deren hohe Empfindlichkeit gegen Schmerzen.

Tatsächlich ist es so, dass in unserer Kultur im Gegensatz zu südlicheren Ländern Schmerz eher unterdrückt wird und man früh lernt: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, und „Stell Dich nicht so an, das ist doch nicht schlimm.“

Das darf man nicht übertreiben, doch es hat letztendlich auch etwas Gutes. Je weniger wir uns mit Schmerzen auseinandersetzen und je mehr wir uns ablenken, desto weniger wird er.

Wir können also mit unseren Glaubensmustern und unserer Denkweise auf Schmerzen einen beachtlichen Einfluss nehmen. Das klingt etwas einfach und ich weiß, wie bohrend und scharf Schmerzen sein können, doch Sie sollten veruschen, sich abzulenken.

Telefonieren Sie mit Freunden, hören Sie Ihre Lieblingsmusik oder lesen Sie ein spannendes Buch. Das kann Schmerzen zumindest ein wenig dämpfen und früher abklingen lassen.

Bei chronischen Schmerzen kann Ablenkung auch helfen, allerdings braucht man zusätzlich eine intensive psychologische Behandlung. Diese sollte man versuchen, auch wenn es anstrengend und langwierig sein kann, Gehirnstrukturen umzuprogrammieren, die chronische Schmerzen hervorrufen.

Ich wünsche Ihnen, dass es gar nicht so weit kommt und hoffe, dass Ihnen meine Tipps helfen, Schmerzen möglichst früh einzudämmen. Schmerzen gehören ein Stück weit zu unserem Leben dazu und sind in vielen Fällen harmlos.

Meistens gehen sie vorbei und mit dem richtigen Umgang sowie einer positiven Denkweise können Sie viel dazu beitragen, schmerzfrei zu sein.

Und wenn Sie jetzt etwas gegen Schmerzen tun wollen, bieten wir hierfür einen Gruppenkurs in der Natur an. In unserem NATUR.KRAFTKURS werden Sie professionell angeleitet und können mit besonderem Spaß Ihr Wohlbefinden verbessern.

Weitere Infos zum kostenlosen Probetraining finden Sie hier:

www.alpenflair-kurse.de

Quellenangaben:

  1. Long et al, 2004
  2. Baron r, Jänig W. Neuropathische Schmerzen. In: Zenz M, Jurna I, Hrsg. Lehrbuch der Schmerztherapie, 2. Auflage. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH; 2001:65-87
  3. Melzack R, Wall P. Textbook of Pain, 4th ed. Edingburgh: Churchill Livingstone; 1999
  4. Moseley GL. A pain neuromatrix approach to patients with chronic pain. Manual Therapy. 2003;8:130-40