
Auf die Frage, ob es in letzter Zeit einen Auslöser für ihre Rückenschmerzen gab, antwortete mir Petra, dass sie es in letzter Zeit einfach nicht geschafft hat, immer gerade zu sitzen. Diese oder zumindest so ähnliche Aussagen, höre ich nicht selten von Patienten.
Viele Leute haben die Überzeugung verinnerlicht, dass die Wirbelsäule den ganzen Tag über gerade gehalten werden muss. Oft müssen sie sich dann aber eingestehen, dass sie es einfach nicht dauerhaft durchhalten und vermuten dann, dass das bestimmt für einen Teil ihrer Schmerzen verantwortlich ist.
Vielleicht klingt in Ihren Ohren auch noch die wütende Stimme Ihres Lehrers und Sie wurden früher ermahnt, endlich mal richtig hin zu sitzen und nicht so im Stuhl zu hängen. Mir ging es jedenfalls meistens so in der Nachmittagsschule und wenn man sich mal im Raum umgesehen hat, war es ein gängiges Bild:
Die meisten Schüler lümmelten wie im Sofa, halb liegend auf ihrem Stuhl.
Je später die Stunde, desto mehr lagen die Kollegen in der horizontalen Ebene.
Interessant dabei ist, dass dieses Verhalten völlig gesund ist, denn die Annahme, immer gerade und am besten noch mit Lineal im Rücken zu sitzen, stammt aus der mittlerweile veralteten Krankengymnastik der 80er Jahre.
Die Antwort, warum man gegen Abend hin mehr und mehr dazu neigt, nicht mehr aufrecht zu sitzen, ist einfach:
Die Bandscheiben signalisieren unserem Körper so zu sitzen, da sie in dieser „Lümmel-Position“ am meisten Wasser ansaugen. Anders ausgedrückt bedeutet diese Position einfach Urlaub für die Bandscheiben und sollte keineswegs unterbrochen werden. Die Schüler merken intuitiv, dass es unheimlich gut tut, sich diesem Gefühl hinzugeben und nicht mehr gerade zu sitzen, denn unser Rücken liebt es, jede halbe Stunde in eine Haltungsänderung zu kommen.
Der häufige Wechsel zwischen gehen, sitzen, stehen und liegen ist ideal für die Bandscheibe, da sie durch den häufigen Wechsel Wasser ansaugen und auspressen kann und damit gut ernährt wird.
Das heißt nicht, dass man nicht auch mal länger am Stück gehen oder sitzen kann, aber es hat sich für die Bandscheiben in Studien gezeigt, dass es generell besser ist, öfters die Haltung zu variieren.
Aus diesem Grund tun Sie gut daran, auf das zu hören, was Ihnen Ihr Körper wirklich signalisieren möchte, anstatt dem Glauben einer alten Erziehung nachzugehen.
Beim Tragen oder Heben eines Gewichts ist es selbstverständlich wichtig, gerade zu sein und auch beim Gehen haben wir ganz natürlich eine aufrechte und stabile Körperhaltung. Aber die ganze Zeit gerade zu bleiben, entspricht keiner gesunden Art mit unserer Wirbelsäule umzugehen und ist nur unnötiger Aufwand.
Man merkt dies auch daran, dass man andere Gelenke ebenfalls nicht ständig in einer bestimmten Position halten muss. Oder ist es für Sie notwendig, den Kiefer ständig geöffnet zu halten? Oder den kleinen Zeh die ganze Zeit nach unten in den Boden zu drücken? Mal abgesehen davon, dass das ziemlich anstrengend wird, merken Sie, was ich Ihnen mitgeben möchte.
Auf den Punkt gebracht ist es wichtig für Sie, aufrecht zu gehen und zu heben, im Alltag öfters die Position zu wechseln und nicht zu lange am Stück zu stehen, zu sitzen oder zu gehen. Und wann immer Ihnen danach ist, dürfen Sie beruhigt in Ihrem Stuhl lümmeln und das Leben genießen.
Selbst eine oft verteufelte Hohlkreuzposition ist für einen gesunden Rücken eine Weile überhaupt nicht tragisch. Die Lendenwirbelsäule ist sogar anatomisch schon in leichter Hohlkreuzposition geformt.
Ihre Hände müssen nicht zum Boden kommen
Eine weitere Übung, die man öfters bei sporttreibenden Menschen beobachten kann, ist das eifrige Dehnen der Wirbelsäule, möglichst bis die Hände den Boden berühren.
Diese praktische, gängige Übung ist neuerdings eher als unnötig zu betrachten. Der Gedanke, beweglich sein zu wollen ist zwar nachvollziehbar, allerdings bringt es für die Wirbelsäule mehr Schaden als Nutzen.
Beim „nach unten Dehnen“ spüren Sie nämlich nicht die Dehnung Ihrer hinteren Beinmuskeln, sondern können die Längenveränderung des Ischias-Nervs wahrnehmen, was vielen vielleicht gar nicht bewusst ist. Das Ziehen in den Beinen ist dabei nicht sofort verletzend, allerdings mögen unsere Nervenstränge eine Dehnung ganz und gar nicht. Im Gegenteil ist es sogar so, dass die eigenen kleinen Blutgefäße eines Nervs dadurch abgeklemmt werden und ein Nerv durch 1% Dehnung seiner Länge ganze 99% seiner Durchblutung verliert.
Sie können sich vorstellen, dass das bei bereits vorgeschädigtem Ischiasnerv Schmerzen auslösen kann und deshalb lieber gelassen werden sollte.
Außerdem sprechen noch weitere Fakten gegen diese Übung, denn es ist nicht nur so, dass eine hohe Flexibilität im Alltag oder als Hobbysportler von keinem hohen Nutzen ist, sondern viel mehr lässt sich die Beweglichkeit der Wirbelsäule in der Realität tatsächlich keinen Millimeter verbessern.
Die Vorbeugebewegung wird nämlich sehr hart von Ihrer Bandscheibe und dem „hinteren Längsband“ gebremst, was ziemlich Stress auf diese Strukturen auslöst.
Vielleicht denken Sie jetzt, dass es aber sicher Balletttänzerinnen gibt, die sehr wohl sogar bis in den Spagat kommen und das doch bestimmt nur durch fleißiges Dehnen und viel Schweiß erreicht haben können.
Das stimmt, allerdings sind diese Menschen nicht wegen einer besonders gedehnten Wirbelsäule so unglaublich beweglich, sondern weil diese von Natur aus sehr „laxe Gelenke“ haben und durch ständiges Training deren Beinmuskeln dehnbarer sind und ihr Gehirn mehr Länge zulässt (neurologischer Effekt, keine echte mechanische Längenveränderung des Muskels).
Das heißt, dass die Wirbelsäule tatsächlich nicht beweglicher gemacht werden kann, was auch eine qualitativ gut durchgeführte Studie (Kujala et al, 1997) beweist. In dieser Studie haben drei verschiedene Gruppen (Balletttänzerinnen, Eiskunstläufer und nicht sporttreibende Menschen) drei Jahre lang ihre Wirbelsäule regelmäßig gedehnt und das überraschende Ergebnis hervorgebracht, dass bei niemandem eine vermehrte Beweglichkeit festzustellen war.
Des weiteren gibt es eine Studie (Kuukkanen et al, 2000), die keinen Zusammenhang zwischen dem Beüben der Flexibilität und einer Schmerzlinderung findet, was zeigt, dass es keinen schmerzlindernden Effekt hat, wenn man versucht die Wirbelsäule dehnfähiger zu bekommen.
Im Endeffekt haben wir Menschen alle unterschiedlich laxe Gelenke und es ist völlig normal, dass manche locker bis zum Boden kommen und andere noch eine kleine Sprudelkiste zwischen ihren Händen und den Boden stellen können. Wenn das so ist, macht das aber gar nichts aus und Sie sollten eher an den Erhalt von gesunden Bandscheiben denken, anstatt eine bessere Dehnbarkeit anzustreben.
Wenn Sie also das nächste Mal Sport treiben, brauchen Sie die Wirbelsäule nicht dehnen und mit aller Macht versuchen, bis auf den Boden zu kommen.
Und nun viel Spaß beim Sport!